Rückblick: Solihausfest am 02. September 2023

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Herzlichen Dank an alle Besucher und Helfer die mit uns gefeiert haben! 🥳

Die herzliche Atmosphäre und die vielen Gäste machten diesen Event zu etwas ganz besonderem. Es gab zahlreiche Höhepunkte die sicher gut in Erinnerung bleiben werden. Zum Beispiel die inspirierende Rede von Nationalrätin  Franziska Ryser (Grüne). Und die vielen kulinarischen Köstlichkeiten, die so manchen Gast verführt haben. 🍽️

Der Nachmittag hielt ein aufregendes Kinderprogramm bereit, bei dem unsere kleinen Gäste Spiele und Spass ohne Ende erlebten. Ein weiteres Highlight war – ein mitreissender Auftritt und Workshop von AfriKata.

 

Feines EssenZu Tisch - Feines EssenJungs am spielenMädchen am bastelnAm Tisch

 

Die Rede von Franziska Ryser

Franziska Ryser Rede

“Liebe Francesca, liebes Solihaus-Team, liebe Menschen die hier ein- und ausgehen, liebe Engagierte, Unterstützer*innen, Interessierte

Vielen Dank für die Einladung und die einleitenden Worte. Es ist für mich wirklich eine grosse Freude, beim heutigen Solihausfest ein paar Worte sagen zu dürfen. Denn das Solihaus hat in den letzten 14 Jahren St.Gallen und das Flüchtlingswesen in St.Gallen geprägt. Ich erinnere mich noch gut, als das Solihaus seine Türen geöffnet hat – ich stand damals kurz vor meiner Matura, und die Migrationspolitik dominierte die politische Debatte. Die Stimmung war aufgeheizt durch die fremdenfeindliche Hetze der rechten Parteien, es wurden Ängste geschürt statt Fakten erzählt. Das Solihaus zeigte in dieser Situation ganz praktisch und an einem einfachen, niederschwelligen Projekt auf, wie der Umgang mit geflüchteten Menschen auch aussehen könnte: offen, unvoreingenommen, hilfsbereit. Ganz einfach menschlich. Ein Ort, an dem man sich treffen, austauschen, gemeinsam kochen, diskutieren oder lernen konnte. Ein offenes Haus für alle, ein Ort der Solidarität. Es zeichnete einen Gegenentwurf zu den abweisenden Asylzentren der öffentlichen Hand.

Das Solihaus ist exemplarisch für die Schweizer Migrationspolitik. «Hart, aber fair», solle das Asylwesen in der Schweiz sein. Das postulieren die Bürgerlichen Politiker*innen immer wieder. Und in der Tat: hart wurde das Asylwesen in den letzten 20 Jahren, immer härter wurde der Umgang mit geflüchteten Menschen. Immer häufiger müssen sie als Sündenböcke hinhalten. Generelle Verbesserungen, wie schnellere Verfahren, wurden durch Schikanen für Einzelfälle kompensiert. Aber fair? Davon ist im heutige Asylwesen wenig zu spüren. Diejenigen, die etwas «fairness» einzubringen versuchen, sind Organisationen – wie beispielsweise das Solihaus –, NGOs und Gruppierungen, die mit viel Freiwilligenarbeit und Engagement den Menschen einen Einstieg in unsere Kultur oder Unterstützung und Beratung bieten. Das System ist hart, aber das „fair“ wurde zu einem erheblichen Teil an die Zivilgesellschaft abgetreten. Das ist das das Resultat der letzten Jahrzehnte bürgerlicher Migrationspolitik.

Und heute? Wir versuchen im nationalen Parlament, Gegensteuer zu geben. Das gelingt uns – zumindest hin und wieder. Und zwar dort, wo die Migrationsthematik mit anderen Themen verbunden werden kann. Beispielsweise mit dem Fachkräftemangel: Wir haben in der Schweiz aktuell den grössten Fach- und Arbeitskräftebedarf seit Jahren. Ohne die Unterstützung von Menschen aus dem Ausland kann die Arbeit schlicht nicht erledigt werden. Dieses Argument klingt bei den einen oder anderen sonst eher migrationskritischen Politiker*innen an.

So haben wir es nach mehreren Anläufen geschafft, dass junge Menschen, die eine Berufsausbildung begonnen haben, diese Ausbildung abschliessen können – selbst wenn sie in der Zwischenzeit einen negativen Asylentscheid erhalten. Heute müssen jungen Menschen in dieser Situation ihre Lehre abbrechen. Unabhängig davon, ob aufgrund der Situation in ihrem Herkunftsland eine Rückführung möglich ist oder nicht. Sie verbringen unter Umständen Monate oder gar Jahre, ohne einer Beschäftigung nachzugehen oder ihre Ausbildung abschliessen zu können. Genauso unbefriedigend ist es für die Lehrbetriebe: Wer bereits ein oder zwei Jahre in die Ausbildung einer jungen Person investiert hat, möchte auch von der Mitarbeit dieser Person in den letzten Lehrjahren im Betrieb profitieren. So konnten wir schlussendlich eine Mehrheit gewinnen. Sodass Junge Menschen mit einem F-Status bald die Garantie haben werden, eine Lehre abschliessen zu können, auch wenn sie einen Wegweisungsentscheid erhalten sollten. Um dann zumindest eine abgeschlossenen Berufsbildung mitnehmen zu können. Und auch Sans Papiers werden künftig einfacher eine Berufsausbildung machen können, damit wir das Potential dieser vielen fähigen Menschen nutzen können.

Etwas erreicht haben wir auch bei Personen, die in der Schweiz eine Ausbildung absolviert haben – beispielweise ein Masterstudium an einer Universität oder Fachhochschule. Sie sollen nach ihrem Abschluss in der Schweiz bleiben und arbeiten können, ohne, dass sie innerhalb von 6 Monaten auf ein kompliziertes Drittstaatenkontingent hoffen müssen, um ihren Aufenthaltsstatus zu verlängern. Auch dies hat das Parlament unterdessen auf den Weg geschickt.  

Solche Vorschläge sind mehrheitsfähig, weil sie auch für die Schweiz oder unseren Arbeitsmarkt Vorteile bringen. Natürlich handelt sich dabei auch um wichtige Verbesserungen für die Betroffenen. Eine Ausbildung ist ein lebenslanges und vielleicht lebensprägendes Kapital. Aber mehrheitsfähig wird es wegen dem Nutzen, die wir als Gesellschaft daraus ziehen. Was wir eigentlich bräuchten, ist ein menschlicheres Asylwesen, das Geflüchtete und Schutzsuchende nicht nur akzeptiert, wenn sie unserer Gesellschaft etwas nützen…! Wie könnte ein solches aussehen?

Als vor 1,5 Jahren der schreckliche Krieg in der Ukraine begann, kamen in wenigen Tagen tausende von Menschen auf der Suche nach einer Zuflucht zu uns. Die Schweiz hat rasch reagiert und den Schutzstatus S aktiviert. Unkompliziert und mit schnellen Verfahren erhielten die Ukrainer:innen eine vorläufige Aufnahme. Die Kinder wurden in die Regelschule eingeschult. Wer Englisch oder gar Deutsch konnte, begann, sich eine Arbeit zu suchen, und sich seinen Lebensunterhalt hier zu verdienen. Und wenn eine Ukrainerin zurückreisen wollte, etwa um ihre Familie oder ihren Partner zu besuchen, so konnte sie dies tun ­– natürlich sofern es die Situation vor Ort erlaubte. Schnelle Verfahren, Arbeitsintegration, Beschulung, Reisefreiheit – könnte der Status S als Modell dienen für einen besseren Umgang mit Migrant*innen?

In der Tat: Viele dieser Elemente sollten eigentlich selbstverständlich sein, wenn Menschen auf der Flucht zu uns kommen. Die Möglichkeiten, sich in der Gesellschaft einzubringen, zu arbeiten, eine Schule zu besuchen, gehören zu den Voraussetzungen, um an einem neuen Ort Fuss zu fassen. Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass dieser Umgang mit geflüchteten Menschen möglich ist – ja, sogar gut möglich ist! Natürlich haben sich auch hier einige Hürden und Herausforderungen gezeigt, beispielsweise bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Abschlüsse und Diplome, die nicht anerkannt wurden; Sprachbarrieren; oder dass Arbeitsuchende nicht wussten, wie sie zu Informationen über offene Stellen kommen. Aber es gab auch viele Fälle, in denen die Arbeitsintegration gelungen ist. Am besten im Kanton Appenzell Innerrhoden, wo prozentual am meisten Personen mit Status S eine Arbeit gefunden hatten. Das zeigt: Wenn es genügend Freiwillige gibt, die die ankommenden Personen empfangen und individuell begleiten, ist es gerade in kleinräumigen Strukturen sehr gut möglich, sie in die Gesellschaft zu integrieren.

Diese positiven Erfahrungen sollten wir auch für andere Aufenthalts-Stati anwenden. Es gibt keinen Grund, weshalb jemand mit Status S eine Reise in sein Heimatsland antreten darf, jemand mit Status F aber nicht. Und trotzdem wurde genau dies beschlossen und sogar noch weitergehend festgelegt, dass auch Reisen in andere Länder stark erschwert werden. Dieser Entscheid, noch kein Jahr alt und offiziell noch nicht in Kraft, wirkt heute noch unverständlicher, nachdem am Beispiel der Ukraine das Reisebedürfniss geflüchteter Menschen wohl für alle offensichtlich und nachvollziehbaren wurde. Immerhin stellt die Arbeitsgruppe, welche den Status S evaluiert hat, das Reiseverbot noch vor Inkraftsetzung schon wieder in Frage.
Es gibt auch keinen Grund, weshalb jemand mit Status S sofort in den Arbeitsmarkt eintreten können sollte, jemand mit einem Status N aber nicht. Auch hier könnte der Schutzstatus als Vorbild dienen.

Das wäre ein erster Schritt. Aber auch der Schutzstatus S ist im Wesentlichen nur eine vorläufige Aufnahme und nicht auf eine nachhaltige Integration ausgelegt. Die Menschen sind hier geduldet, doch wenn der Krieg in der Ukraine vorbei ist, sollen sie möglichst bald wieder gehen. Deutschkurse für Ukrainer*innen? Werden künftig nur noch bis zum Niveau A2 bezahlt. Obwohl bekannt ist, dass dies für eine gute Integration nicht ausreicht. Eine Integrationspauschale? Darauf warten Personen mit Schutzstatus S vergeblich, genauso wie auf den Zugang zu Jobcoaching, Bildungsangeboten oder Beschäftigungsprogrammen.

Der Schutzstatus S wurde Ende der 90-Jahre entworfen, um im Kriegsfall rasch eine grosse Anzahl Personen aufnehmen zu können, ohne ihre individuellen Fluchtgründe zu prüfen. Das war auch notwendig, denn unser Asylsystem anerkennt nur individuelle, persönliche Betroffenheit als Asylgrund. Wer wegen seiner oder ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in ihrem Heimatland verfolgt wird, und deshalb sein Land verlässt, hat einen Asylgrund. Doch ein Krieg? Ein Krieg bedroht die Personen nicht wegen ihrem individuellen Status. Kriegsflüchtlinge werden von unserem System nicht als Flüchtlinge anerkannt.

Deshalb wurde der Status S aktiviert. Mit dem Schutzstatus konnte in wenigen Tagen eine rasche vorläufige Aufnahme gewährt werden. Doch wenn der Krieg andauert, werden einige dieser Menschen in der Schweiz bleiben. So, wie es auch beim letzten Krieg in Europa in den 90er-Jahren der Fall war. Viele der damals aus der Balkan-Region kommenden Menschen sind geblieben, obwohl das im damaligen wie im heutigen System eigentlich nicht angedacht war.  Umso wichtiger ist es, bereits jetzt auf eine sorgfältige Integration und einen frühzeitigen Spracherwerb zu setzen! Und dafür zu sorgen, dass der Status S mittelfristig durch einen humanitären Schutzstatus ersetzt wird.

Es braucht einen Systemwechsel. Künftig müssen auch andere Gründe, wie Krieg, wirtschaftliche Not, Naturkatastrophen, Klimaveränderung als Gründe für einen dauernden Aufenthalt akzeptiert werden.

Denn bereits heute sind jedes Jahr über 20 Millionen Menschen wegen Naturereignissen auf der Flucht. Dauerregen, langanhaltenden Dürren, Hitzewellen und Stürmen, sie zerstören Landschaften und Lebensgrundlagen. Dies wird mit der Klimaerhitzung noch zunehmen. Die Weltbank rechnet damit, dass in den nächsten 30 Jahren über 140 Millionen Menschen ihre Heimat verlieren werden. So viele wie noch nie zuvor! Diese Menschen werden ein neues zu Hause brauchen. Und es liegt auch an uns, ihnen eine neue Heimat zu geben.

Eine Herausforderung? Ja, vielleicht. Aber es ist auch richtig. Denn unser privilegiertes Leben ist nur möglich, weil wir in der Vergangenheit und auch noch gegenwärtig überproportional viele der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen genutzt haben. Unser Wohlstand war und ist Treiber des Klimawandels und damit mitverantwortlich für Naturkatastrophen und die Zerstörung von ganzen Landstrichen. Es ist unsere Verantwortung, Menschen auf der Flucht vor diesen Zerstörungen nun auch zu helfen.

Doch auch die herzlichste Aufnahme, die beste Willkommenskultur kann geflüchteten Menschen ihre Heimat nicht ersetzen. Unser primäres Bestreben sollte deshalb darin liegen, die Fluchtursachen an sich zu verringern. Denn niemand ist freiwillig auf der Flucht. Und jede und jeder hätte eigentlich das Recht, in ihrer eigenen Heimat zu wohnen und da ein würdiges Leben zu führen. Das ist Klimagerechtigkeit! Was heisst das für uns? Wir müssen als Verursacher des Klimawandels jetzt vorangehen und unser Netto-Null-Ziel früher als 2050 erreichen. Wir müssen die Finanzmittel zur Verfügung stellen, damit die betroffenen Länder des globalen Südens ihrerseits Massnahmen gegen die Klimaerhitzung und zur Klimaanpassung angehen können, damit möglichst viele Menschen da eine Grundlage zum Leben haben werden.

Das wäre eine menschenwürdige und gerechte Migrationspolitik: Den Klimawandel und andere Fluchtursachen bekämpfen – bei uns, wie auch vor Ort in anderen Ländern. In einem zweiten Schritt die Menschen, die ihre Heimat dennoch verlassen müssen, als Flüchtlinge anzuerkennen und aufzunehmen – ob Krieg, Naturkatastrophe, oder weil ihnen in ihrem Heimatland Gefahr droht. Und drittens, dass die Integration von Anfang an im Mittelpunkt steht: Sprache, Schule, Ausbildung, Arbeit.

Und ja – Es kommt auch uns zugute, wenn zusätzliche Fachkräfte unsere Wirtschaft unterstützten. Doch im Zentrum steht nicht der Nutzen für die Schweiz, sondern die Gerechtigkeit, den Menschen eine Chance zu geben, die auch durch die Auswirkungen unseres Handelns in eine Notsituation geraten sind.

Das wäre eine Migrationspolitik, die ich mir wünschte: Ausgehend von Menschlichkeit und gerechtem Handeln, statt Abschottung und Eigennutzen.

Und dann? Dann profitieren wir auch von der Vielfalt der Kulturen und der unterschiedlichen Blickwinkel, die alle Menschen in unsere Gesellschaft einbringen. Indem wir dafür sorgen, dass sich alle, die hier wohnen, der Schweiz verbunden fühlen, sich einbringen und Verantwortung übernehmen.

Beispielsweise, indem wir sie als Teil unserer Demokratie anerkennen und ihnen demokratische Mitbestimmungsrechte zugestehen: Mit einem Ausländer*innenstimmrecht, der erleichterten Staatsbürgerschaft oder dem ius soli (Geburtsortprinzip). Denn das ist es, was eine Gemeinschaft ausmacht: alle einbinden, mitarbeiten und mitentscheiden lassen.

Wir haben also noch einiges zu tun. Gemeinsam können wir die Migrationspolitik verändern. Es beginnt an Orten wie hier, wo gezeigt wird, wie ein Miteinander aussehen kann zwischen den Kulturen und Generationen. Sodass auch bald in der Politik die richtigen Entscheidungen möglich sein werden. Packen wir es an!”

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